Jakobsweg
– wieder einmal! Eigentlich hatte ich damit abgeschlossen. Nachdem ich mich im
Jahr 2006 (Leon – Santiago de Compostela) von der Faszination dieses Weges habe
anstecken lassen, kann ich mit ein wenig Stolz behaupten, noch vor der
Veröffentlichung des Kerkeling-Buches auf diesem Weg unterwegs gewesen zu sein.
Im Jahr 2007 profitiere ich von dem Hype, den das Buch auslöst.
Was jetzt en Vogue ist, ist damals noch nicht so selbstverständlich und ich erfahre, dass es auch Wege in Deutschland gibt, die unter der Rubrik ‚Jakobsweg‘ zusammengefasst werden.
Ein Artikel
im Stern ‚Pilgerwege in Deutschland‘ bringt mich auf den Ökumenischen
Pilgerweg.
Warum also nicht mal unter dem Zeichen der Jakobsmuschel durch den Osten Deutschlands laufen.
Warum also nicht mal unter dem Zeichen der Jakobsmuschel durch den Osten Deutschlands laufen.
Im August 2007 starte ich also in Görlitz und beende das Abenteuer nach ca. 450 km in Vacha, einem kleinen Ort an der ehemaligen innerdeutschen Grenze.
Die mich bekleidende Freundin kommt anschließend mit der Information um die Ecke, dass dieser Weg auch fortgesetzt werden könne und letztlich in den Nordwesten Spaniens führe.
Damit nahm die Idee, in Görlitz beginnend und nach Santiago zu laufen, erstmals konkrete Züge an. Ich kann mich in meinen Urlauben auf diesem Weg bewegen und mich so allmählich dem eigentlichen Ausgangsort - Saint-Jean-Pied-de-Port - nähern. Von hier sollte es irgendwann einmal möglich sein, die noch knapp 800 fehlenden Kilometer in einem Stück zu laufen. Ein Traum!
Mit einer notwendigen Unterbrechung im Jahr 2008, setze ich den Weg im darauffolgenden Jahr fort. 2009 starte ich in Vacha und laufe über Fulda, Würzburg, Rothenburg o.T. nach Ulm. Das Ziel ist die Querung der Schweiz!
Dies gelingt mir im Jahr darauf. Im Mai 2010 starte ich in Ulm und über Konstanz, Einsiedel, Interlaken, Lausanne gelange ich nach Genf.
Hier
angekommen, fällt mir der Abschied äußerst schwer. Ich trage mich mit dem
Gedanken, den Weg fortzusetzen und mich nach der Rückkehr mit den Folgen
auseinanderzusetzen.
Die Vernunft siegt!
Ich fahre zurück, komme aber im Geist nie wirklich an. Alle meine Gedanken drehen sich um die Fortsetzung meines Weges.
Und so kommen mir die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu Gute. Der Betrieb in dem ich arbeite, will und muss sparen. Kurzarbeit regiert den Arbeitsalltag – weshalb also nicht Geld an mir sparen.
3,5 Monate sollten reichen, um mich von Genf nach Santiago zu bringen, eine kleine Reserve von 2 Wochen mit berücksichtigt.
Resturlaub und Minusstunden bringen mich über den August, die weiteren 2,5 Monate muss ich ohne Bezahlung auskommen.
Es hat alles geklappt
Über die ‚Via
Gebenensis‘ und die ’Via Podiensis‘ erreiche ich Condom. Hier entscheide ich
mich für eine Wegänderung und laufe über Auch [Osch] nach Lourdes, um die
Pyrenäen am Col de Somport zu queren. Am 12. Oktober 2010 – dem spanischen Nationalfeiertag
(in Gedenken an die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus) erreiche ich Santiago
und vier Tage später das ‚Ende der Welt‘ – Finisterra und Muxia!
Die Ankunft in der Stadt war diesmal bei Weitem nicht von so viel Emotionen getragen wie im Jahre 2006.
Es herrscht
Volksfestcharakter und auf den letzten hundert Kilometern vollzog sich eine
Völkerwanderung.
2010 war ein
‚Heiliges Jahr‘ und der 12.10. fällt auf einen Dienstag – auch die Spanier
nehmen Brückentage und so waren die Menschenmassen fast unerträglich!
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es mir irgendwann möglich ist, den Camino Frances in einem Stück zurückzulegen, geschweige denn die Strecke von Genf aus zu bewältigen.
Auch wenn es noch den Plan gibt, die ‚Via de Plata‘ am Stück zu laufen, so war das Projekt Jakobsweg abgeschlossen – schließlich gibt es noch andere Fernwanderwege, Fahrradwege etc.
Und nun also doch wieder unter dem Zeichen der Muschel unterwegs?!
Primär war der Wunsch den Urlaub im Süden Frankreichs zu verbringen und dann kam die Idee, die mir noch fehlende Strecke der Via Podiensis zwischen Condom und Puente la Reina (Spanien) zu laufen und so auch den Hauptausgangsort – Saint-Jean-Pied-de-Port - zu queren.
Also Start in Moissac und über Condom, Nogaro, Maslacq, Aroue in den von den Pilgern stark geprägten Ort. Hier in ‚SJPdP‘ treffen sich drei der großen Wege in Frankreich. Unter dem gemeinsamen Namen ‚Navarrischer Weg‘ führen diese weiter nach Puente la Reina.
Ab Condom waren sie dann auch das erste Mal zu sehen - Berge. Ein ähnlich tolles Gefühl, wie ich es 2010 bereits einmal erleben durfte. Im Gegensatz zu damals laufe ich nicht direkt auf die Bergkette zu, sondern nähere mich ihnen eher parallel. Je länger mein Blick auf dieser Gebirgskette verweilt umso mehr muss ich an die Bücher Alexander Wolkows denken. Man läuft und läuft und hat das Gefühl, dass es sich um die unüberwindbaren Berge aus dessen Geschichten handelt.
Endlich in SJPdP angekommen, endet hier für viele, vorrangig Franzosen der Weg. Dafür starten hier wesentlich mehr Menschen aus aller Welt zu ihrem Abenteuer – viel mehr als aufhören.
Der Ort
bietet mit seiner gewachsenen, auf Pilger zugeschnittenen Infrastruktur die
ideale Basis.
Im Pilgerbüro drängeln sich die Pilger. Die meisten wollen ihren Stempel, eine Unterkunft und Hinweise für den Wegeverlauf am kommenden Tag.
Es gibt viele
Unterkünfte für den Pilger. Die meisten sind darauf getrimmt, so viele Pilger
wie irgend möglich unterzubringen.
Der erste
Eindruck meiner Unterkunft ist positiv, wird aber sofort relativiert. In der
ersten Etage gibt es zwei Räume mit zusammen 21 Betten. 2 Toiletten und 2
Duschen und 2 Waschbecken finden sich in der zweiten Etage, wo genauso viele
Menschen ihr Bett finden. Nicht alle Räume der Herberge haben Fenster!
Für die
Einsteiger und für die Ankömmlinge eine echte Überraschung – für mich, der
Erfahrungen bereits in Spanien gesammelt hat, nichts Ungewöhnliches!
Es gilt eine Taktik zu entwickeln, mit diesen Situationen klarzukommen. Entweder, man steht sehr zeitig auf und zieht sich den Unmut der Zimmergenossen zu oder man wartet, bis der größte Teil der Pilger bereits aufgebrochen ist.
Letztere
Variante kann, wenn man sich Zeit auf dem Weg nehmen will oder nicht so gut zu
Fuß ist, bei Zielankunft zu einem echten Problem werden. Unter Umständen sind
bereits am zeitigen Nachmittag alle Betten des Zielortes belegt.
Von SJPdP verlaufen zwei Wege nach Roncesvalles in Spanien. Der eine hält sich weiter an dem GR65 und führt steil hinauf in die Berge und verliert am Ende wieder stark an Höhe. Der andere ist etwas gemäßigt und orientiert sich sehr am Verlauf der Hauptstraße.
Ich sehe es pragmatisch - warum auf 1400 Meter steigen, um anschließend wieder 400 Meter steil absteigen? Körperlich ist dies kein Problem, immerhin habe ich bereits ca.350 Kilometer in den Beinen. Für viele Einsteiger ist es sicher eine Herausforderung zumal ein großer Teil auch dieser Strecke auf Asphalt verläuft!
Roncesvalles ist ein kleiner Ort mit einem riesigen Augustinerkloster. Alles ist auf Pilger jeder Couleur eingerichtet – den Buspilger, Pilger mit Gepäcktransport und natürlich den klassischen Pilger.
Ich habe Glück und bekomme ein Bett in einem neu eingerichteten Schlafsaal. Zwar immerhin mit 70 Betten, so sind diese doch in Nischen zu je 2 Doppelstockbetten aufgeteilt. Für die Herren und Damen gibt es jeweils 3 Duschen und drei Toiletten – es könnte schlimmer sein. Davon scheint es drei Schlafräume zu geben!
Jene, welche länger unterwegs sind, müssen sich mit einem Schlafsaal mit 180 Betten in einer Abtei ohne Fenster begnügen.
Jetzt wird das ganze Ausmaß sichtbar und es dämmert mir, was am nächsten Morgen auf dem Weg der Wege los sein wird! Einer Polonaise nicht unähnlich, werden sich die Menschen zum nächsten Ort bewegen. Wohl dem, der zeitig genug ankommt.
Auf dem Weg nach Zubiri kommt mir wieder die Geschichte um den Zauberer der Smaragdenstadt in den Sinn.
Um den Weg
auch Fahrradfahrern zu ermöglichen und/oder eine bessere Begehbarkeit zu
gewährleisten, sind auf großen Teilen Steinplatten verlegt.
Leider sind
diese nicht gelb, erinnern mich aber doch sehr an den gelben Backsteinweg in
Wolkows Zauberland. Wie dieser führt auch der Jakobsweg geradewegs zum
angestrebten Ziel. Und wie auch im Märchen sich der Eiserne Holzfäller, der
Scheuch und der Löwe auf den Weg in die Smaragdenstadt begeben, um ein Herz für
die Liebe, ein Gehirn für den Verstand und eine Portion Mut zu bekommen, so
ziehen hier Menschen aus aller Welt gen Santiago, um genau diese Dinge für sich
zu finden.
Viele
Menschen nach ihrer Motivation befragt, werden Argumente bringen, welche sich letztlich
auf Liebe, Verstand und Mut herunterbrechen lassen.
Nach diversen
Büchern und Filmen und dem darauffolgenden Ansturm – die Deutschen verkörpern dank
Kerkeling seit 2007 die zweitstärkste Nation nach den Spaniern!
Inzwischen
begegnet man auch auffällig vielen Nordamerikanern auf dem Weg, wofür sehr
wahrscheinlich der Film ‚My Way‘ verantwortlich ist.
Was soll bloß
werden, nachdem die Verfilmung des Kerkeling-Buches in den deutschen Kinos
gelaufen ist?
Profitieren
werden immer die Städte und Dörfer am Weg und natürlich die Kirche.
Bei der
stetig steigenden Zahl Laufwilliger – im Heiligen Jahr gibt es immer eine
Spitze, um danach zwar wieder abzufallen, aber nie unter den Wert der Jahre
zuvor (2009 - 145.877/ 2010 - 272.135/2011 – 183.366/ 2012 – 192.488) bleibt
wohl der Grundgedanke allmählich auf der Strecke. Keine Zeit besinnlich auf
ausgetretenen Wegen zu wandeln, sich Gedanken über ‚Gott und Welt‘ und das
eigene Leben zu machen.
Die Angst
oder vielleicht besser die Sorge nach 20-25 gelaufenen Kilometern kein Bett
mehr zu bekommen und dann womöglich weiter ziehen zu müssen, treibt an und
lässt kaum Spielraum für andere Gedanken.
Zeitig in
verschlafenen Orten angekommen, hat man reichlich Zeit Gespräche zu führen und
sein Geld im Restaurant oder Bar zu lassen.
Eine
Gastronomie würde es aber ohne die Pilger in den kleinen Orten überhaupt nicht
geben.
Größter
Nutznießer ist jedoch die Kirche. Mit einem simplen Trick schafft sie die
Grundlage der Welt weiß zu machen, dass sich immer mehr Menschen auf die
kirchlichen Werte besinnen.
Jeder, der in
Santiago ankommt und die letzten hundert Kilometer gelaufen ist, bekommt im
Pilgerbüro die Compostela ausgestellt.
Wohlbemerkt
nur für die letzten 100 Kilometer!
Inzwischen hat auch die Kirche schon bemerkt, dass mit dem Nachweis über diese Strecke – den Stempeln im Pilgerausweis – seitens der Pilger recht locker umgegangen wird.
Die Maßnahme,
um dem entgegenzuwirken, ist die Festlegung, zwei Stempel pro Tag nachzuweisen!
Eine Kleinigkeit! In jeder Kirche, jeder Tankstelle, jeder Bar liegt ein
Stempelkissen mit dazugehörigem Stempel!
Warum nicht die Strecke für Fußpilger auf 200 Kilometer verlängern? Weil es damit den Spaniern unmöglich wäre, innerhalb von 4 Tagen mal schnell Santiago de Compostela zu erreichen. Und die spanischen Pilger machen etwa die Hälfte aller Ankömmlinge aus!
Und noch ein weiterer Grund: Um die gewünschte Urkunde zu bekommen, muss man seine Beweggründe mit religiös oder religiös-kulturell beschreiben. Ist man jedoch eher sportlich motiviert, erhält man zwar ebenfalls eine Urkunde, welche sich natürlich von der Compostela unterscheidet.
So wäre es also nicht verwunderlich, dass viele nicht ihre wahren Beweggründe offenbaren!
Und die Kirche bekommt ihre Statistik gemäß dem Grundsatz:
‚Traue keiner
Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!‘
Nach den
diesjährigen Erfahrungen ist erst einmal Schluss für mich. Ich glaube, dass
sich die Zustände auf dem Weg sicher irgendwann ändern werden und der Strom Pilgerwütiger
nachlässt.
Dann wird es
Zeit für die ‚Via de Plata‘ - also vermutlich ein Projekt für die Zeit nach dem
Arbeitsleben.
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