Sonntag, 21. Juni 2015

Bunte Republik Neustadt


Dresden – das dritte Wochenende im Juni! Es ist BRN! Für alle Nicht-Dresdner: Bunte Republik Neustadt! Zum fünfundzwanzigsten Mal!



Vor 25 Jahren von den Bewohnern des größten Gründerzeitviertels von Europa aus der Wiege gehoben, ist das Stadtteilfest heute eine feste Größe im Kalender der Dresdner und natürlich der Neustadtbewohner.


Hier, in den Straßen zwischen Königsbrücker, Bischofsweg, Kamenzer und der Bautzner Str. trifft sich an diesem Wochenende das bunte Potpourri der Spezies Mensch. Fellini hätte seine wahre Freude und eine große Auswahl an möglichen Protagonisten.


Unter der Annahme, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, müssen die Besucher dieses Festes wohl zu den hungrigsten Menschen Europas gehören. Das Angebot an Speisen wird nur von dem der Bierausschenker getoppt. Aber dafür ist die Vielfalt der Essensanbieter um ein vielfaches höher, auch wenn in diesem Jahr die indische Küche zu überwiegen scheint.


Ursprünglich auch einmal als Kreativfest der Neustadtbewohner vollzogen, haben inzwischen immer mehr kommerzielle Anbieter dieses Wochenende für den schnellen Euro auserkoren. Kein Wunder, dass dies zu immer größeren Unmut führt und jedes Jahr aufs Neue, die Fortsetzung in Frage stellt.


Wenn man aber aus den vergangenen Zeilen schließt, dass es sich um ein reines Fress- und Sauffest handeln könnte, so ist diese Schlussfolgerung zwar nicht gänzlich falsch, aber eben auch nicht richtig.


Den Charme machen eben auch die zahlreichen Bands aus, die hier ihre Chance sehen, sich in das richtige Licht zu setzen und ein breites Publikum zu erreichen. Daneben finden sich auch kleinere Bühnen, auf denen Musik aufgelegt wird und die mit dem Sound von den verschiedenen Balkonen konkurrieren.



Nicht jede dieser Takte ist ohrwurmtauglich und wird deshalb vom Trommelfell eines über 50-jährigen einfach nur als Krach wahrgenommen. Mit dem Wissen darum lässt es sich trotzdem gut durch das Viertel flanieren und ein paar nette Überraschungen entdecken.


Junge Frauen demonstrieren ihr Verantwortungsbewusstsein in dem sie ihren Kleinst- und Kleinkindern übergroße Kopfhörer aufsetzen, um den Nachwuchs vor diversen Langzeitfolgen zu schützen.




Die Generation Y will schließlich das Leben und all seine Annehmlichkeiten genießen und ist bereit, dies mit dem ebenbürtigen Nachwuchs auszudiskutieren. Aber in erster Linie müssen sie ihren Nachwuchs wie eine Löwenmutter verteidigen, wenn das gemeine Volk sich dem Selbstbewusstsein einer Mutter dieser Generation entgegenzustellen wagt. Da kann man sich schon einmal mit recht aggressivem Vokabular konfrontiert sehen! Wer sich aber schon einmal einer jungen Frau mit Kinderwagen oder mit einem Rehpinscher an der Leine auf dem Dresdner Striezelmarkt gegenübersah, kann souverän mit der Situation umgehen.


Im Zweifel kann ihm die Staatsgewalt zu Hilfe eilen. Diese ist wie immer zahlreich vertreten und versucht durch Präsenz gewalttätigen Exzessen entgegen zu wirken. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer erfolgreich und so zählen ein paar ordentliche Straßenschlachten auch zur Geschichte der BRN.


Man rechnet immer mit der Gewalt auch extra angereister Besucher aus Nah und Fern, weswegen die Ausrüstung und der Anblick der Beamten mit dem Schriftzug ‚Polizei’ auf dem Rücken, recht martialischer Natur ist. Es schüchtert Ottonormalverbraucher sicher ein, auf den harten Kern wirkt es wohl eher provozierend.

Zu später Stunde tauchen auch jene auf, die sich mit dem Sammeln von Flaschen ihren Lebensunterhalt aufbessern müssen. Für diese ist das Terrain zu Zeiten der BRN ein wahres Eldorado. Auch wenn es vielleicht zynisch klingen mag – es sei ihnen gegönnt. Gar nicht auszumalen, welche Schicksale sich ohne dieses Zubrot abspielen würden, wenn der ehemalige Umweltminister den Pfand der Glasflasche auf mehr als diese läppischen acht Cent festgelegt hätte. Gut, dann gebe es in der Stadt auch weniger kaputte Fahrradreifen und so profitieren auch die Händler vom Fahrradzubehör von dieser Entscheidung. Eben alle Gewinner!

Mit der Nacht vom Samstag zum Sonntag ist der Höhepunkt auch schon erreicht und so trifft man sich am Sonntagvormittag auf den Straßen zu alternativen Frühstücksrunden mit Kind und Kegel. Es geht beschaulich zu.


Die Menge angetrunkener Menschen ist zu diesem Zeitpunkt erfreulich gering, so dass es eine Freude ist, sich dort, wo der Geist der BRN noch umgeht, umzusehen.



Als Anwohner hat man sowieso nur zwei Möglichkeiten. Man engagiert sich mit der BRN und verkauft selbstgebackenen Kuchen, mixt diverse Getränke vor dem Haus oder weiß bereits Jahre im Voraus, wann der Kurzurlaub in das Umland zu buchen ist.


Trotz der Tatsache, dass der Kommerz immer mehr an Boden gewinnt, sollte auf dieses Fest auch in den kommenden Jahren nicht verzichtet werden und selbst wenn es vielleicht so klingt, dass ich dem nicht zugetan bin, so freue ich mich auf das kommende Jahr und werde mich wieder mit der Menschenmenge durch die Straßen der Neustadt treiben lassen.

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